Dienstag, 2. Mai 2006

Mal was Anderes zur Fussball-WM

Die TAZ schickte dem ehemaliger Torhüter der Eintracht Frankfurt - Jürgen Pahl - eine Botschaft, um zu fragen, ob er bei der WM für Deutschland oder Paraguay sei. Pahl lebt seit sieben Jahren in Paraguay. Er antwortete ausführlich vermittels eines Fax:

Liebe taz,
"Es ist Liebe" heißt Ihr Magazin - aber ist es wirklich Liebe? Wo ist die Liebe in dieser Welt? Sie reduziert sich auf die sexuelle "Liebe" und die Liebe zum Geld, besser gesagt: die Gier. Und die Liebe zum Fußball? Es werden doch nur noch Millionen hin und her geschoben, bis einige Taschen voll sind. Für Spielergehälter von zwei bis sechs Millionen Euro oder mehr müsste selbst im "wohlhabenden" Westen ein durchschnittlicher Angestellter über 100 Jahre arbeiten. In Paraguay würde es sogar über 1000 Jahre dauern. Der erste Wikinger, der paraguayischen Boden betrat, hätte demnach bis heute durchmalochen müssen. Wenn er überhaupt Arbeit hätte.
Und Sie? Wie lange müssten Sie arbeiten? Der Fußballprofi identifiziert sich längst nicht mehr mit seinem Verein, trotz dieser Gehälter. Läuft's, dann läuft's, und ich lasse mich feiern. Läuft's nicht, auch egal, dann wechsle ich halt den Verein. Das ist kein Klischee, das ist ein Problem. Warum, frage ich, sollte ich heute noch Liebe zum Fußball haben? Warum sollte ich mit diesem Brief einen kostenlosen Beitrag leisten zu einem Ereignis, bei dem sich auch nur wieder einige wenige die Taschen voll machen?

Awacs-Flugzeuge und Terrorangst sind das Resultat weltweiter ungerechter Entwicklungen. Globaler verheerender Klimawandel ist die Folge der Ausbeutung dieser Welt. Wir haben schreiende soziale Ungerechtigkeit weltweit, völkerrechtswidrige Kriege mit verheerenden Folgen für Mensch und Umwelt, und der nächste Krieg wird psychologisch in den Köpfen der Massen schon vorbereitet. Das sind die Rahmenbedingungen dieser WM, die als Ablenkung gelegen kommt.

[...]


Die Spielergehälter in der ersten paraguayischen Liga liegen bei 200 bis 1000 US-Dollar monatlich. Einige wenige Profis vom Spitzenclub Olimpia bekommen vielleicht 5000 US-Dollar. Die aktuellen Nationalspieler spielen daher größtenteils im Ausland. In Italien, Spanien, Mexiko und mittlerweile auch in Deutschland. Nicht nur weil ich jetzt hier wohne, sondern aus meiner Logik und meinem Herzen heraus hoffe ich, dass Paraguay das Griechenland dieser WM wird. Sie mögen diesen satten Ländern mal zeigen, dass es doch anders geht.

Auch bei einem Aufeinandertreffen mit Deutschland bin ich für Paraguay. In Bezug auf Fußball und Gesellschaft haben Sie in Ihrer Anfrage das Wort "modern" benutzt. Alle sprechen das Wort mit der Betonung auf der zweiten Silbe aus. Aber es gibt im Deutschen dieses Wort auch mit Betonung auf der ersten Silbe. Das hört sich völlig anders an. Vielleicht ist dieser Vorgang schon weiter fortgeschritten, als die meisten Menschen glauben. Zum Glück gibt es die Ignoranz. Die bewusste Ignoranz bei denen, die viel zu verlieren haben (Wirtschaftsführer, Politiker, Fußballer u. a. andere Wohlhabende), und die unbewusste, trägheitsbedingte, verursacht durch täglichen Existenzkampf und dauernde Berieselung, auch durch Fußball.

Der Idealist zählt in unserer Gesellschaft nichts mehr, wie der Mensch als Mensch nichts mehr gilt. Ihr kommt ja auch bald in das Wegwerfalter. Entschuldigung. Der Macher und Materialist ist gefragt, schlau, skrupellos ohne Visionen, außer sein Konto betreffend.

[...]

Herzlich, Ihr Jürgen Pahl
http://www.spiegel.de/sport/fussball/0,1518,413801,00.html

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